23. August 2024

Blick ins Projekt: Zu Besuch im ehemaligen Lepra-Dorf im Senegal

Tür-zu-Tür-Kampagne: Ein Gesundheitsteam unterwegs im ehemaligen "Lepradorf" Mballing (Foto: Christian Männer / DAHW)

Die Lepra-Dörfer sind Geschichte – die Krankheit bleibt: Im Senegal ist Lepra in einigen Ortschaften nach wie vor verbreitet. Die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe unterstützt diese Dörfer seit Jahrzehnten und ist weiter vor Ort aktiv – mit medizinischen Untersuchungen, Prophylaxe und modernster Technik.

Mballing / Würzburg, 23.08.2024: „Vor zwei Jahren“, sagt einer der Dorfältesten, „als ihr zuletzt hier wart, habt ihr gesagt, dass ihr wiederkommt.“ Er macht eine Pause und nickt zufrieden. „Und ihr seid wiedergekommen!“ Nicken und Murmeln, vereinzelter Applaus in der großen Gruppe, die sich unter dem Schatten spendenden Laubdach eines Mangobaums versammelt hat.

Auf blauen Plastikstühlen neben den Dorfältesten sitzen Mitarbeitende unterschiedlicher Nichtregierungsorganisationen, Vertreter:innen des senegalesischen Lepra-Nationalprogramms, Mitglieder der Selbstvertretungsorganisation und fünf Dermatolog:innen. Mittendrin: DAHW-Forschungskoordinatorin Dr. Christa Kasang und Felicitas Schwermann, Ärztin und DAHW-Junior-Beraterin für Globale Gesundheit. Sie alle sind nach Mballing gekommen, ein ehemaliges Lepra-Dorf an der senegalesischen Atlantikküste, um an einer großangelegten Untersuchungskampagne teilzunehmen. Gerade bereiten sie sich auf den heutigen Arbeitstag vor.

„Nach Mballing und weitere Dörfer dieser Art wurden früher Menschen gebracht, die mit Lepra diagnostiziert wurden, um hier isoliert vom Rest der Gesellschaft zu leben“, erklärt Forschungskoordinatorin Kasang. „Hier treten nach wie vor neue Erkrankungen auf. Unsere Aufgabe in dieser Woche besteht darin, durch eine sogenannte Tür-zu-Tür-Kampagne alle Bewohner:innen dieses Dorfs zu untersuchen und herauszufinden, ob es neue Fälle gibt.“ Wird eine Erkrankung festgestellt, wird die betroffene Person sofort mit den notwendigen Medikamenten versorgt, Kontaktpersonen erhalten eine Prophylaxe.

Seit Jahrzehnten ist die DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe in Mballing und den anderen ehemaligen Lepra-Dörfern aktiv, unterstützt Betroffene, bietet medizinische Versorgung an und fördert die Infrastruktur. Seit dem vergangenen Jahr gelten die Ortschaften nicht mehr als „Lepra-Dörfer“ – ein Erfolg der DAHW und ihrer Partnerorganisationen. Die Krankheit aber ist – wenn auch massiv eingedämmt – noch nicht ganz verschwunden.

Dass fünf Hautärzt:innen (vier Frauen und ein Mann) an diesem Mittwoch im Juni mit unter dem Baum sitzen, ist keine Selbstverständlichkeit: Im ganzen Senegal mit seinen rund 17 Millionen Einwohner:innen gibt es gerade mal ein gutes Dutzend ausgebildete Dermatolog:innen. Nun brechen fünf von ihnen mit kleinen Gruppen aus Sozialarbeiter:innen und NGO-Mitarbeiter:innen auf, um an jede einzelne Tür im Dorf zu klopfen und den Menschen eine kostenlose Untersuchung sowie die Prophylaxe für Kontaktpersonen anzubieten.

Die Dermatologin Dr. Fatou Diop leitet eine dieser Gruppen. Nun betritt sie in Mballing einen schattigen Innenhof, in dem die Hausherrin auf einer Decke auf dem Boden sitzt. „Bonjour, Salaamaalekum“, begrüßt die Ärztin die ältere Dame. „Maalekum salaam“, erwidert die Frau, die sich als Marème vorstellt, dann weist sie ihre Familienmitglieder an, sich für die Untersuchung zu versammeln. Die Hand, mit der sie gestikuliert, ist stark verkrümmt, auch die Füße sind von der Lepra gezeichnet. Ihre Erkrankung liegt lange zurück. Heute gibt es mit der Kombinationstherapie für akute Fälle sowie der medikamentösen Prophylaxe für Kontaktpersonen gute Möglichkeiten, leprabedingte Behinderungen zu verhindern. Genau deshalb ist das Team heute in das Haus in Mballing gekommen.

Nicht immer aber ist es möglich, eine Dermatologin in die ehemaligen Lepra-Dörfer zu schicken. Die neun Ortschaften liegen teilweise sehr abgelegen, die Ärzt:innen aber praktizieren meist in den großen Städten – und nicht alle sind bereit, für Untersuchungen etwa in Regionen in der Nähe der malischen oder mauretanischen Grenze zu reisen. Um die Gesundheitsmitarbeitenden vor Ort zu unterstützen, wird gerade eine App des US-Unternehmens BelleTorus Corporation (Belle.ai) erprobt, die mit Künstlicher Intelligenz Fotos von Hautläsionen analysiert. Sie kann zwar nicht diagnostizieren, wohl aber eine Wahrscheinlichkeit angeben, ob es sich bei einer fotografierten Hautstelle um Lepra handelt. Eine große Hilfe, wenn keine ärztliche Expertise verfügbar ist. Um diese App zu testen und zu trainieren, werden die Menschen in Mballing heute gleich zweimal untersucht: Einmal von der Ärztin und einmal mit der App.

Im Haus von Madame Marème gibt es nun eine Diskussion: Ein Familienmitglied hat eine auffällige Hautstelle, lehnt nach der ersten Untersuchung aber jede weitere Maßnahme ab. „Wir müssten uns die Läsion noch einmal genauer ansehen und vielleicht eine Biopsie veranlassen“, erklärt Dr. Diop, während der Sozialarbeiter das Gespräch mit dem Teenager sucht. „Er aber will davon nichts wissen.“ Die Expert:innen in der Gruppe haben dafür Verständnis – Lepra ist nach wie vor hochstigmatisiert. Gerade für Jugendliche ist eine Diagnose ein schwerer Schlag. Doch das Team will nicht aufgeben: Ist der junge Mann tatsächlich an Lepra erkrankt, kann eine sofortige Behandlung verhindern, dass er andere ansteckt und selbst leprabedingte Behinderungen davonträgt. Der Sozialarbeiter nimmt sich Zeit: Er hört dem Jungen zu, setzt ihn nicht unter Druck, erklärt ihm in Ruhe, wie eine Behandlung ablaufen würde. Doch der Jugendliche macht dicht und die Delegation verlässt das Haus, ohne ihn erneut untersucht zu haben. Was nun? Der Sozialarbeiter bleibt gelassen: „Wir warten ab.“

„Im Großen und Ganzen wird die Kampagne sehr gut aufgenommen“, sagt die DAHW-Forschungskoordinatorin Kasang. „Die Türe stehen offen, die Ärztinnen können ihre Arbeit tun. Sicher gibt es immer wieder einige, die der Untersuchung und Behandlung skeptisch gegenüberstehen, aber insgesamt ist die Akzeptanz sehr, sehr hoch.“

Mahamath Cissé, DAHW-Büroleiter im Senegal, teilt diese Einschätzung. „Die Prophylaxe wird von der Bevölkerung gut angenommen“, sagt er. „Denn sie gibt Hoffnung, dass wir eines Tages die Eliminierung der Lepra in diesem Dorf sehen können.“

Noch ist es nicht so weit: Auch an diesem Tag finden die einzelnen Gruppen wieder neue Leprafälle, einige davon bei Kindern. Das ist Anlass zur Sorge, denn aufgrund der langen Inkubationszeit können neu entdeckte Fälle bei Erwachsenen auch schon jahrzehntelang im Körper schlummern. Bei kleinen Kindern ist das anders: Erkrankt ein Vierjähriger an Lepra, liegt die Ansteckung noch nicht lange zurück. Und das bedeutet: Die Krankheit verbreitet sich nach wie vor im Dorf.

Umso wichtiger ist es, auf die frühzeitige Fallfindung zu setzen. Bereits vor zwei Jahren gab es in Mballing eine ähnliche Kampagne, bei der ebenfalls Prophylaxemedikamente an Kontaktpersonen ausgegeben wurden. Die Hautärztin Dr. Diop sieht nach dem Tag in Mballing eine positive Entwicklung: „Ich weiß nicht, wie viele Fälle die anderen Teams gefunden haben, aber bei uns waren es bislang weniger als vor zwei Jahren. Ich denke, wir können optimistisch sein, dass die Zahl der Fälle zurückgeht.“

Die Kampagne ist noch nicht zu Ende, auch am nächsten Tag werden Dr. Diop und ihre Kolleg:innen wieder losziehen. Was die Ärztin heute noch nicht weiß: Noch in dieser Woche wird der Junge aus dem Haus von Madame Marème im nahegelegenen Gesundheitszentrum auftauchen. Er will seine Läsion untersuchen lassen. Denn, das hat ihm der Sozialarbeiter erklärt: Sollte er sich angesteckt haben, kann man ihm dort helfen. Die Medikamente sind vorhanden, seine Krankheit noch nicht weit fortgeschritten. Er kann vollständig gesund werden.


 

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