16. April 2020

Covid-19, eine besondere Gefahr für Menschen mit Behinderungen

"Beim Baden, beim Kochen, beim Waschen – Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind auf betreuenden Personen oder Familienmitglieder angewiesen. Eine Quarantäne bzw. Isolation zum Schutz vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus ist kaum möglich" Foto: Mario Schmitt / DAHW

Die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung müssen bei Corona-Krisenreaktionen berücksichtigt werden.

Weltweit leben rund eine Milliarde Menschen mit einer oder mehreren körperlichen Beeinträchtigungen oder Behinderungen, 80 Prozent von ihnen leben in Ländern des sog. Globalen Südens und sind  überproportional von extremer Armut betroffen. Die aktuelle Corona-Pandemie stellt für sie eine besondere Gefahr dar. Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um sie zu schützen? Was fordern die Betroffenen selbst in dieser Situation? Sahayarani Antony, Fachkraft für Inklusion bei der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe, skizziert die spezifischen Herausforderungen und schließt sich den Forderungen der „International Disability Alliance" an.

Die Unterstützung und Bestärkung von Menschen mit Behinderungen, der Abbau von Vorurteilen und Barrieren in Gesellschaften und die inklusive Ausrichtung und Ausgestaltung aller Hilfsmaßnahmen sind feste Bestandteile der weltweiten Projektarbeit der DAHW Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe. Sahayarani Antony zeichnet bei der Würzburger Hilfsorganisation verantwortlich für das Thema Inklusion: Sie ist besorgt, wie sich die Corona-Pandemie für diese vulnerable (verletzliche) und marginalisierte Personengruppe auswirkt. „Beim Baden, beim Kochen, beim Waschen – Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind auf betreuenden Personen oder Familienmitglieder angewiesen. Eine Quarantäne bzw. Isolation zum Schutz vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus ist kaum möglich“, so die Expertin. In den DAHW-Einsatzländern in Asien, Afrika und Lateinamerika sei die Situation für Betroffene besonders problematisch. Oft müssten weite Wege zurückgelegt werden, um Wasser oder Brennholz zum Kochen zu holen. „Wie soll die einfache Schutzmaßnahme ‚regelmäßiges Händewaschen‘ möglich sein, wenn der nächste Brunnen nicht erreichbar ist?“, macht Antony deutlich. „Diese Menschen brauchen andere an ihrer Seite, die sich um sie kümmern – auch in Zeiten höchster Infektionsgefahr.“

Risikogruppe mit schwerem Schicksal

Erschwerend kommt hinzu, dass Menschen dieser Risikogruppe aufgrund von altersbedingten Erkrankungen und anderen Atemwegserkrankungen wie Tuberkulose ohnehin weniger immun und somit anfälliger für das Virus sind. Auch ein schwerer Krankheitsverlauf einer COVID-19-Infektion ist wahrscheinlicher, bis hin zu einer erhöhten Sterblichkeit. „Vergessen dürfen wir auch nicht diejenigen, die zwar nicht an einer körperlichen, aber an einer psychosozialen Behinderung leiden. Diese Menschen in ihren Häusern oder – noch enger – nur in bestimmten Räumen ‘einzusperren‘, könnte für sie äußerst schwierig werden“, sagt Sahayarani Antony. Zwar führe diese Form der Beeinträchtigung nicht zu einem erhöhten Infektionsrisiko, „doch die Barrieren zu medizinischer Versorgung, sozialer Integration, Bildung und Information sind für sie aufgrund von Stigmatisierung, Diskriminierung, aber auch Ängsten und Depressionen höher.“

Wenn sich das Virus in den DAHW-Einsatzländern ebenso rasch ausbreitet wie in den hiesigen Ländern, werden die Gesundheitssysteme binnen kürzester Zeit kollabieren. Keine Frage, dass es dann Millionen kranke Menschen oder Menschen mit Behinderungen am härtesten treffen wird. „Sie und ihre Familien leben oft in großer Armut – an Hamsterkäufe oder gefüllte Vorratskammern ist hier nicht zu denken“, gibt Antony zu bedenken.

COVID-19-Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen

Die International Disability Alliance (IDA), eine Allianz von über 1.100 Organisationen von Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen, hat anlässlich der Corona-Pandemie auf ihrer Webseite (www.internationaldisabilityalliance.org) umfassende Informationen für Betroffene, Hilfsorganisationen und staatliche Institutionen zusammengetragen. Zudem stellt sie konkrete Empfehlungen und Forderungen auf, die sicherstellen sollen, dass die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bei nationalen und internationalen COVID-19-Maßnahmen berücksichtigt werden. Die DAHW schließt sich diesen Forderungen an und setzt die Empfehlungen soweit möglich in den eigenen Projekten um.

  1. Im Falle eines Mangels an Nahrungsmitteln oder Hygieneprodukten müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen nicht außen vor bleiben. Sie sind eine der ersten Personengruppen, die dann keinen Zugang zu lebensnotwendigen Gütern mehr haben.
  2. Zusätzliche Schutzmaßnahmen für Menschen mit Behinderungen und für ihre Betreuer*innen und Pfleger*innen sind unabdingbar. Alles, was erforderlich ist, um die Infektionsverbreitung zu minimieren, sollte getan werden. Außerdem sollten diese Risikogruppen proaktiv auf das Virus getestet werden.
  3. Viele Menschen werden aufgrund von Ausgangsbeschränkungen keine Arbeit finden und somit ihre Familien nicht ernähren können. Kurzarbeit und Lohnfortzahlung gibt es in vielen Ländern des Globalen Südens nicht. Um die dramatischen Auswirkungen abzuschwächen, sollte zumindest für die am stärksten gefährdeten Personen "Unterstützungspakete“ (in Form von Trockenrationen oder Bargeld) bereitgestellt werden.
  4. Ein solches COVID-19-Hilfspaket muss alters- und behinderungsspezifisch gestaltet werden. Die Verteilung von Bargeld kann zwar die lokale Wirtschaft anzukurbeln – für manche Menschen mit Behinderung ist dies keine gute Option, da sie möglicherweise niemanden haben, der die notwendigen Lebensmittel für sie kaufen kann. Darum müssen Bring- bzw. Zustellservices organisiert und diese Kosten bei der Maßnahme mit einberechnet werden.
  5. Sämtliche wichtige und lebensnotwendige Informationen rund um die Krankheit sollten in zugänglichen Formaten, auf verschiedenen Kommunikationswegen und in der jeweiligen Landessprache veröffentlicht werden.
  6. Menschen mit Behinderungen brauchen maßgeschneiderte und ganz konkrete Tipps, wie sie das Infektionsrisiko minimieren und mit der COVID-19-Pandemie und der aktuellen Situation umgehen sollen. Sie müssen erfahren und verstehen, wie sie sich schützen können und wie sie Zugang zu notwendigen Gütern und Dienstleistungen erhalten.

Appelle an die Regierungen

Speziell an die Regierungen in ihren Einsatzländern wendet sich die DAHW mit der dringenden Bitte, aktuell laufende Unterstützung für Menschen mit Behinderungen automatisch zu verlängern. Menschen, die ihre eigene Erwerbstätigkeit unterbrechen oder aufgeben müssen, um einen hilfs- und pflegebedürftigen Angehörigen mit Behinderung zu betreuen, müssen finanzielle Hilfe erhalten. Zudem müssen Versorgungsleistungen für Menschen mit Behinderung erhöht und zusätzliche Zahlungen und/oder Vorschusszahlungen ermöglicht werden. „Menschen mit Behinderungen können und dürfen nicht aufgrund ihrer Behinderung benachteiligt werden – auch und gerade in der aktuellen Krisensituationen“, konstatiert die DAHW-Inklusionsfachkraft Sahayarani Antony. „Dafür kämpft die DAHW in ihrer weltweiten Arbeit, auch in diesen Zeiten.“


Der Inklusionsansatz der DAHW

Von der medizinischen Rehabilitation über Mikrokredite bis hin zu Empowerment und politische Arbeit.


Helfen Sie uns, zu helfen!

Auch wenn wir in Sorge um unser eigenes Wohl sind, dürfen wir die Menschen in anderen Ländern nicht vergessen.


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