18. Juli 2012

Tagebuch Motorrad-Wallfahrt Kevelaer 2012

Bei der Wallfahrt über Wasser gegangen: DAHW präsentiert „Lebensretter Motorrad“

Drei Tage Regen, völlig durchnässte Motorrad-Kleidung, der halbe Zeltplatz eher ein See und später eine riesige Wanne wie geschaffen für eine Schlammpackung. Das war die Motorrad-Wallfahrt 2012 in Kevelaer. Jochen Hövekenmeier war für die DAHW dabei und berichtet erstaunlicherweise, dass es nicht trotz, sondern wegen dieser Umstände Spaß gemacht hat.

Freitag: Hinfahrt bei Regen und 18 Grad.

„Immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel“, rief eine Kollegin noch kurz vor der Abfahrt. Passend bei dem Wetter. Dunkle Regenwolken hingen über Würzburg, Richtung Spessart sogar noch dunkler. Zuhause bleiben? Verlockend, aber kein Thema: Ein Moppedfahrer, ein Wort! Hätte ich doch bloß meine Klappe gehalten und mich nicht angemeldet.

Gut 450 Kilometer werden es sein bis Kevelaer. Vorbei an Frankfurt, Köln und Düsseldorf, dann immer weiter auf der linken Seite des Rheins bis kurz vor die holländische Grenze. Oder von Frankfurt Richtung Dortmund – etwas Heimatluft schnuppern – und dann nördlich des Ruhrgebiets über Haltern und Wesel zum Ziel. Ich entscheide mich für die zweite Route als Hin- und die erste als Rückreise.

Das Mopped, Emma nach der Dampflok von Lukas, dem Lokomotivführer, ist schon fertig bepackt. Schwer bepackt, mit Zelt, Isomatte, Schlafsack und zwei wasserdichten Koffern für die Kamera und ein paar frischen Klamotten. Und einige Handtücher natürlich für Emma und mich. Vorausschauend, aber das war ja nicht schwierig bei dem Wetterbericht.

Noch vor Frankfurt kommen mir ernsthafte Zweifel an meinem Vorhaben. Schon im Spessart kommen die ersten Tropfen Wasser durch die eigentlich wasserdichte Kombi. Aber was heißt schon wasserdicht, wenn man auf Tauchstation geht? Und das schlimmste Stück kommt ja erst noch: Das Sauerland, von den Eingeborenen dort auch liebevoll „Der Pinkelpott vom lieben Gott“ genannt.

Erst kurz vor Dortmund klart der Himmel etwas auf und bestärkt mich darin, dass der liebe Gott diese schöne Stadt besonders mag – in den vergangenen zwei Jahren hat er das beim Fußball besonders deutlich gezeigt. Vorbei am glorreichen Stadion hinauf zur A2, dann links abbiegen und schnell an der verbotenen Stadt vorbei. Hatte ich schon erwähnt, dass ich aus Dortmund stamme?

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Bei Oberhausen dann wieder eine kurze Rast. Emma hat Durst, ich Hunger und genug vom Wasser. Das verteile ich dann auch fleißig auf dem Boden der Raststätte unter den mitleidigen Blicken der Leute, die wegen der paar Regentropfen ihre Dosen (so nennen Moppedfahrer Fahrzeuge mit vier Rädern, die ihnen immer die Vorfahrt nehmen) auf den Behinderten-Parkplätzen abstellen, weil von dort der Weg zum Rasthaus kürzer ist.

Auf dem Weg nach draußen ein Ehepaar mit Kindern. Die schauen gespannt zu, wie viele Reißverschlüsse, Knöpfe und Klettverschlüsse es bei einer Moppedkombi zu schließen gibt. „Macht doch viel mehr Spaß als mit der stickigen Luft im Auto“, erzähle ich ihnen, als die Mutter in ähnlicher Tonalität wie meine selige Oma mir ins Wort fällt: „Wie halten Sie das nur aus bei dem Regen?“. „Ganz einfach: Auf dem Mopped muss ich mir solche Sprüche nicht anhören“, denke ich allerdings nur und ziehe den Helm auf. Keine Stunde später bin ich endlich in Kevelaer.

Der Zeltplatz ist leicht zu finden: Immer den anderen Moppeds hinterher. Mehr als 200 von ihnen haben ihre Zelte schon aufgeschlagen auf der Weide, die ein Bauer jedes Jahr zur Verfügung stellt. Doch heute zieht sich die Zeltstadt lang, denn nur am Rand steht das Wasser nicht auf der Wiese. In der Mitte ist schon fast ein kleiner See – passend zur Motorrad-Wallfahrt kann man hier schon mal üben, über Wasser zu laufen.

Emma parken, Zelt aufbauen, Luftmatratze und Schlafsack ausrollen und dann die alles entscheidende Frage: Pils oder Alt? Keine Frage gab es, was mit der nassen Kombi passieren sollte. Die Klamotten trocknen am besten direkt am Körper. Die Stiefel nur kurz ausgeschüttet – dicht waren sie ja, das Wasser ist von allein nicht mehr herausgelaufen – und wieder angezogen. Den Schlafsack brauche ich nur zum Zudecken. Immerhin, wenigstens der bleibt halbwegs sauber.

Samstag: Wallfahrt bei Regen und 17 Grad

Mit einem fröhlichen „Ahoi, Seeleute“ stapfe ich durch den See in das große Zelt, in dem die Veranstalter das Frühstück schon längst vorbereitet haben: Kaffe und Zigaretten, wer mag, kann dazu auch das ein oder andere Brötchen mit Wurst oder Käse verschlingen. Im trockenen Zelt, echter Luxus. Benzingespräche und natürlich das Thema: Wetter. Wir nehmen es mit Galgenhumor, was bleibt uns denn auch übrig, wenn wir nicht in Depression verfallen wollen?

Ich baue unseren kleinen „Stand“ auf: Das große Plakat „Lebensretter Motorrad“ und ein paar Informationen über die Arbeit der DAHW. Noch beim Aufbau die ersten helfenden Hände und Interessenten: „Klasse, was Ihr da macht.“ „Super Konzept mit den Gesundheitshelfern auf ihren Moppeds“, und auch: „Wie kann ich helfen?“

Mittags dann die erste Fahrt zur Gnadenkapelle, zu Maria in der Not. Von Kevelaer nach Kevelaer über die Dörfer und Orte in der Umgebung. Straßen abgesperrt, die Rennleitung mit Blaulicht immer vorweg und in den Orten dann die Überraschung: Keine Proteste gegen die „Raser“, sondern fröhlich winkende Menschen unter ihren Regenschirmen an den Straßenrändern, teils mit Plakaten, auf denen sie uns „gute Fahrt“ oder „viel Spaß“ wünschen. Die Motorrad-Wallfahrt ist in Kevelaer und Umgebung sehr beliebt, ungefähr 600 Moppedfahrer aus der Region schließen sich dem Tross an.

Vorne fährt das Wallfahrtskreuz, dahinter ein Priester auch auf seinem Mopped. An der Gnadenkapelle zieht der sich nicht um, sondern legt lediglich seine Stola an. Der gehört zu uns, spricht unsere Sprache, will er uns dokumentieren und schafft es auch. Schließlich kennt man ihn schon vom Abend auf dem Zeltplatz. Gebete, Gesänge zu Ehren der Gottesmutter, doch vorher der traditionelle Ruf zur Motorrad-Andacht: Drei Mal hupt jeder Teilnehmer. Spontaner Applaus der vielen Menschen, die sich dieses Spektakel vor der Kapelle nicht entgehen lassen.

Am Abend dann die traditionelle Lichterfahrt. Zwar sind Moppedfahrer immer mit Licht unterwegs, weil es eine Lebensversicherung ist – zumindest war sie das, bis ein Hersteller von Autolampen auf die Idee gekommen ist, das mit „Tagfahrlicht“ bei Autos ein sehr gutes Geschäft zu machen ist. Aber in der Dämmerung wirkt das noch mal so gut. Besonders, weil wieder so viele Moppeds dabei sind, der Klang von Motoren und Hupen unsere Ankunft am Gnadenbild Mariae ankündigt.

Ich mache Fotos von dieser Atmosphäre, fange die Stimmung ein, die von den Priestern auf die Gläubigen überströmt und selbst auf diejenigen, die nicht glauben, aber trotzdem mit dabei sind. Als der Regen wieder einsetzt, versuche ich irgendwo halbwegs geschützt die Kamera einzupacken, ohne dass sie zu sehr durchnässt. Hilfreich bietet mir eine Frau den Platz unter ihrem Regenschirm an, so dass dies gelingt. Rechtzeitig, denn jetzt kommt ein wichtiger Bestandteil der Wallfahrt: Das Gedenken an die Moppedfahrer, die im vergangenen Jahr auf den Straßen ihr Leben gelassen haben. Von Autos überfahren, weil deren Fahrer die Vorfahrt missachtet hatten, von Leitplanken getötet, weil die Straßenbaubehörden ein paar Euro sparen wollen, oder einfach verunglückt, weil sie einen Augenblick unachtsam oder zu risikobereit waren.

„Da ist mein Mann dabei“, höre ich neben mir. Das Gesicht, das mir eben noch mit fröhlichem Lächeln den Platz unter dem Schirm angeboten hat, wird schnell ernst. Erste Tränen fließen. Vor einem Jahr sei er ausgerutscht in einer Kurve. Ich nehme die Frau, deren Namen ich bis heute nicht kenne, spontan in den Arm und halte sie für die Schweigeminute fest. Als Dankeschön schenkt sie mir den Anstecker der Motorradwallfahrt mit Maria in der Not darauf. Der habe ihrem Mann gehört und eigentlich wolle sie ihn jetzt an der Gnadenkapelle aufhängen, aber nun sei er bei mir richtig aufgehoben, meint sie.

Ich stecke mir meine Maria in der Not sofort an die Kombi und trage sie von nun an mit Stolz, aber auch als Mahnung, niemals unachtsam oder leichtsinnig zu werden. Später erfahre ich von vielen Teilnehmern, die mit Religion oder Glauben eigentlich nichts zu tun haben, dass es sie genau aus diesem Grund auch immer wieder nach Kevelaer zieht. Doch zunächst lasse ich mir von der netten Frau bestätigen, dass bei ihr alles in Ordnung ist. Wir werden uns im nächsten Jahr bei der Lichterfahrt genau an dieser Stelle wieder treffen. Bei Maria in der Not, die über uns alle ihren schützenden Mantel ausbreitet.

Sonntag: Gottesdienst, Segen, Rückfahrt und Regen bei 20 Grad

Kurzer Nachtrag zum Samstagabend, die Party war grandios, die Band „Jacket Crowns“ hat gerockt, wie man es von einem Bikerfest erwarten kann, und wir sind immer noch nicht weggeschwommen, obwohl der See auf dem Zeltplatz immer größer wird. Und immer wieder machten Gerüchte über Wetterberichte die Runde, dass der Regen zwei oder drei Grad wärmer werden soll. Zum Start in den Sonntag gibt es einen Wortgottesdienst. Mitten im Schlamm, an den sich aber inzwischen alle gewöhnt haben.

Nur die Helfer vom Roten Kreuz scheinen nichts von Wetterberichten gehört zu haben. Mit ihren Einsatzfahrzeugen waren sie am Freitag auf den Platz gefahren und hatten am Samstag schon Probleme, zu den Ausfahrten wieder auf die Straße zu kommen. Mit vereinten Kräften haben wir sie durch den Schlamm geschoben, doch damit war jetzt Schluss.

Fast alle hatten ihre Moppeds am Samstagabend auf dem asphaltierten Radweg vor der Wiese geparkt, weil die Gefahr groß war, nicht wieder aus dem Schlamm heraus zu kommen. Nur die Rotkreuz-Fahrzeuge haben die leicht abschüssige Einfahrt genutzt, um wieder auf die Wiese zu fahren. Zurück – nun leicht bergauf – schaffen sie es natürlich nicht mehr. Und bei so viel Dummheit hat keiner von uns auch nur die geringste Lust verspürt, die Fahrzeuge schon wieder zu schieben.

Ich sehe auf den Fahrzeugen die Aufschrift „Katastrophenschutz“ und frage den Einsatzleiter, was er denn machen wolle, wenn es mal wirklich eine Katastrophe gebe und feste Straßen nicht befahrbar seien. „Dann“, so sagt er und meint das wirklich ernst, „holen wir die Allrad-Fahrzeuge aus der Garage.“ In mein „Aha“ mischt sich schon das erste Gelächter der Umstehenden und die verzweifelten Versuche der Sanitäter, bis zum Eintreffen eines Treckers doch noch bis zur Straße zu fahren, sind beste Sonntagvormittags-Unterhaltung. Das Glücksgefühl des Tages beschert mir jedoch mein Zelt, das gleich beim ersten Versuch des Zusammenfaltens in die Tasche passt. Zwar nass, aber drin.

Aufstellung zur großen Abschlussfahrt. Wieder durch die Orte der Umgebung und wieder zur Gnadenkapelle – natürlich, denn es ist ja eine Wallfahrt. Kurz vor der Ankunft reißt plötzlich der Himmel auf und erste Sonnenstrahlen dringen durch den Dreck auf unsere Kombis. Erstmals an diesem Wochenende fühle ich, wie die Kleidung am Körper trocknet und genieße – wie alle anderen – diesen kurzen Augenblick des Glücks.

„Da sind unsere Gebete doch endlich erhört worden“, sagt der Priester zur Begrüßung vor der Kapelle und fordert uns zum dreimaligen Hupen auf. Nach dem Segensgruß – statt „Gehet hin in Frieden“ hier „Fahret hin in Frieden“ – wird jeder einzelne Fahrer mit seinem Mopped gesegnet. Viel Arbeit für den Priester und viel Weihwasser, das er mit dem Aspergill verteilt. Die Scherze, dass es leider nicht ausreicht, um die Maschinen vom Schlamm zu befreien, kommen sogar von ihm selbst.

Nach kaum 30 Kilometern der Rückfahrt ist es mit dem vorübergehenden Sonnenschein auch schon wieder vorbei. Noch vor Köln läuft das Wasser wieder in die Stiefel, aber es ist – wie erhofft – etwas wärmer als an den beiden Tagen zuvor. Egal, jetzt bin ich auf der Heimreise und zähle die Stunden und Minuten, bis ich mich endlich richtig trocken legen kann.

Doch plötzlich kommt die Idee und sie reift auf der ganzen, nassen Fahrt durch den Spessart immer weiter. Ich bin also endlich Zuhause, befreie Emma vom Gepäck und lasse mir ein heißes Bad ein. Und dann – in der Wanne – trenne ich mich von der ohnehin schon nassen Kombi und diese von dem Schlamm, den wir gemeinsam vom Zeltplatz in Kevelaer nach Würzburg geschmuggelt haben.

Der Blick schweift auf den Anstecker mit Maria in der Not und ganz ohne Not entscheide ich, auch im nächsten Jahr wieder dabei zu sein – egal, was der Wetterbericht sagen wird. Wenn Maria nach Kevelaer ruft, sind wir Moppedfahrer da. So, wie auch die Gesundheitshelfer der DAHW auf ihren Moppeds immer dort sind, wo sie gebraucht werden.