26. November 2008

„Wird mein Papa wieder richtig laufen können?“

Der achtjährige Wanyama sieht die schrecklichen Folgen der Lepra

Gespannt lauscht der achtjährige Wanyama den Worten des Physiotherapeuten im Leprahospital. Endlich – nach vier langen, quälenden Tagen, hat Wanyama seinen ganzen Mut zusammengenommen und den Mann angesprochen, der seinen Vater behandelt: „Doktor, wird mein Papa wieder richtig laufen können?“ Der Physiotherapeut bemerkt die Angst in der Stimme des Jungen und bemüht sich, ihn zu beruhigen: „Aber natürlich, er wird wieder ganz gesund und auch wieder richtig laufen können.“

Doch bei dem kleinen Jungen haben sich große Zweifel angesammelt. Zu erschütternd ist das, was ihm hier begegnet: Menschen mit Verbänden, alte Patienten, die von Lepra schrecklich verstümmelt wurden,  Geschwüre, die versorgt werden, die beißenden Gerüche der offenen Wunden und die beängstigenden Geräusche aus den Behandlunsgräumen. Für den Jungen ist das zu viel. Und ausgerechnet sein Vater hat nun auch Lepra. Die Bilder der letzten Tage mischen sich mit den furchtbaren Geschichten, die sich die Menschen im Dorf über Lepra erzählen. Trotz der beruhigenden Worte ist Wanyama in Panik.

Physiotherapeut Henry Tesaaga untersucht gefühllose Stellen an den Füßen von Fred Hajuba.

Wie alles begann
Sein Vater, Fred Hajuba, war Fischer am Viktoriasee – ein großer und kräftiger Mann. Wenn er mal nicht arbeiten musste, hat der 30-Jährige gerne mit seinen vier Kindern gespielt, besonders mit seinem jüngsten Sohn Wanyama. Der war sehr stolz auf seinen starken Papa und durfte ihn oft begleiten, wenn die Männer auf den See gefahren sind.

Doch seit zwei Jahren wurde sein Vater immer schwächer. Alles fing damit an, dass er am Fuß einige gefühllose Stellen hatte und den Fuß beim Gehen nicht mehr richtig anwinkeln konnte. Später wurden auch die Hände von ähnlichen Symp-tomen heimgesucht: Immer wieder glitten ihm die schweren Netze durch die Hände. Bald musste er sich beim Gehen abstützen und war selbst bei einfachen Arbeiten auf die Hilfe von Kollegen angewiesen.

Der kleine Wanyama verstand die Welt nicht mehr. Er begleitete seinen Vater zu verschiedenen Ärzten und Naturheilern. Aber die vielen Ratschläge und Medikamente brachten keine Hilfe. Schließlich gab ein Freund des Vaters den entscheidenden Rat, zum 120 Kilometer entfernten St. Francis Hospital Buluba zu fahren, um sich von den Ärzten der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) untersuchen zu lassen.

Fred Hajuba erfährt, wie gefährlich auch die kleinsten Verletzungen für Leprakranke sind.

Begegnung mit Lepra
Der Verdacht ist ausgesprochen: „Lepra!“ Fred packt voller Sorge seine Sachen und macht sich mit seinem jüngsten Sohn auf den langen Weg nach Buluba. Dort wird die Diagnose Lepra schnell gestellt. Die Ärzte finden auch heraus, dass die falschen Medikamente der vergangenen Jahre den Verlauf der Krankheit noch beschleunigt haben.

Wanyama weicht seinem Vater nicht mehr von der Seite. Er schläft vor dessen Bett und ist bei ihm, so oft es geht. Wenn sein Vater zu Untersuchungen und Behandlungen geht, wartet er vor der Tür. Der Junge sieht die anderen Leprapatienten dort herauskommen. Ihm wird schnell klar: Je länger die Krankheit andauert, um so schlimmer wird sie. Und er denkt dabei an die verkrüppelten Hände und Füße.

Lepra – ein Schicksal?
Wenn er seinen Vater einmal nicht begleiten kann, streift Wanyama auf dem weitläufigen Gelände um das Krankenhaus herum. Dabei gelangt er auch zu ein paar kleinen Häusern. Hier werden alte Leprapatienten behandelt, die dauerhaft behindert sind und nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Sie waren vor vielen Jahren an Lepra erkrankt und erst spät behandelt worden. Wanyama blickt entsetzt auf die Handstümpfe und denkt: Wird mein Vater bald auch so aussehen? Auf dem Rückweg wachsen seine Sorgen um den geliebten Vater.

Korbflechten ist nicht nur Bewegungstherapie für die Finger, sondern gleichzeitig eine neue Perspektive für den gelernten Fischer.

Ein Funken Hoffnung
Just in diesem Augenblick der größten Sorge kommt Fred Hajuba aus dem Behandlungsraum. Mit aller Kraft, die ihm geblieben ist, nimmt er seinen Sohn auf den Arm. In einem langen Gespräch mit dem Arzt erfahren die Beiden später, was Lepra für den Vater bedeutet: Er wird seine Hände und Füße behalten und auch weiter benutzen können, da er gerade noch rechtzeitig zur Behandlung kam.

Die Sorge um seinen Vater wird Wanyama trotzdem bleiben. Denn das hat der Junge begriffen: eine Garantie, dass die durch Lepra geschädigten Nerven und das fehlende Schmerzempfinden nicht irgendwann doch zu einer Amputation  führen können, gibt es auch für seinen Papa nicht.

St. Francis Hospital Buluba / Uganda